In keinem anderen Kapitel habe ich in den letzten Monaten und Wochen so viel rumkorrigiert wie in diesem. Durch die Entdeckung des Dappens und den Fragen wie das Dappen und das Dreierles mit dem Cego verwandt ist, überschlugen sich in letzter Zeit die Erkenntnisse. Das Kapitel gibt die Ergebnisse der Tarockforschung im Oktober 2024 wieder. Danke an Ulf Martin, John McLeod, Paul Eaton und Thierry Depaulis für viele wichtige und grundlegenden Erkenntnisse und danke für den sehr anregenden und spannenden Mailverkehr. Aber nun zur Sache:
Im Hochschwarzwald war in meiner Kindheit die Meinung weit verbreitet, dass badische Soldaten Cego aus Spanien mitgebracht haben. Auch Schlager beschreibt diese Geschichten in seiner Veröffentlichung von 1951. Im ersten Moment scheint diese Theorie abwegig, da es in Spanien die für Cego typischen Karten nie gab. Die Cego-Karten ähneln mehr den Tarock- oder Tarotkarten, die in Italien, Frankreich, Dänemark, Österreich und über den Balkan bis nach Russland verbreitet waren.
Um die Entstehung des Spiels zu verstehen, muss man ein wenig ausholen.
Das Tarockspiel (zu denen auch das Cego gehört) kam in weiten Teilen Deutschlands und der Habsburger Monarchie ab 1750 in Mode. In "Restdeutschland" wurde aber in aller Regel, wie in Frankreich mit 78 Karten gespielt. Die ersten Tarockkarten in unserer Region wurden um 1690 in Straßburg produziert. In Freiburg wurden sie ab 1780 hergestellt. Danke Thierry Depauli! Verbunden mit den Erkenntnissen über die frühen Straßburger Kartenmacher und der engen Verwandtschaft Badens mit dem Elsass ist natürlich die spannende Frage, ob in unsere Gegend das Tarock etwas früher über den Rhein geschwappt ist, als in anderen Teilen Deutschlands. Dazu fehlen aber bislang noch jegliche Erkenntnisse.
Wir gehen momentan davon aus, dass die Badener vor der "Erfindung" des Cegos, ab Ende des 18. Jahrhunderts bereits Tarock gespielt haben. Und das möglicherweise schon mit 54 Karten. Es waren Spiele, die wahrscheinlich dem Südschwarzwälder "Dappen" ähnlich waren. Heute ist das Dappen nur noch in Versionen mit sechs oder sieben Spielern bekannt. Im 19. Jahrhundert gab es auch Varianten mit drei bis fünf Spielern. Diese sind aber heute in ganz Baden ausgestorben.
Die Regeln des Dappens hat die größten Ähnlichkeiten mit den Schweizer Spielen "Troggu" und "Tappä" aus dem Wallis und dem "Le Tape" aus dem Kanton Fribourg. Aber auch die Österreichischen Tapptarocke haben Ähnlichkeiten. Bis vor Kurzem ging man noch davon aus, dass wesentliche Änderungen vom Tarock mit 78 Karten zum Tarock mit 54 Karten in Österreich erfolgten. (Mayr und Sedlaczek). Dies ist aber aufgrund der engen Verwandtschaft des Schwarzwälder Dappens mit dem Troggu aus dem Wallis nicht mehr ganz sicher. Vor allem ist das Spiel von bis zu 7 Spielern eine gemeinsame Besonderheit sowie die Tatsache dass der Gstieß eine Doppelfunktion einnimmt, sowohl als höchster Trumpf, als auch als Narr (Joker), der nicht sticht aber fünf Punkte für den Besitzer zählt. Ob nun das Spiel direkt aus der Schweiz nach Südbaden kam, z. B. durch Schweizer Studenten die Ende des 18. Jahrhunderts in Freiburg studierten oder bereits im Zuge der Migrationswelle nach dem Dreißigjährigen Krieg in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts weiß man nicht. Ausgeschlossen ist natürlich auch die Theorie nicht, dass das Tarock den Weg irgendwie aus der Schweiz über Österreich in die alten Vorderösterreichischen Gebiete im heutigen Baden fand. Ob diese Fragen jemals geklärt werden, ist fraglich. Sicher ist jedoch, dass die Spielkartenforscher mit Ihrer Fachkenntnis über Europäische Tarockregeln diese interessante Fragen aufgeworfen haben!
Ein zweites Badisches Tarockspiel ist das Dreierles, das in Mittelbaden um Rastatt gespielt wird. Es scheint aus unterschiedlichen Gründen nicht so alt zu sein, wie das Dappen. Regeln wie sie beim Österreichischen Tapp-Tarock gespielt werden, haben bei diesem Spiel schon Einzug gehalten, wie beispielsweise der nicht angesagte Ulti. Da Mitte des 19. Jahrhunderts Österreicher beim Rastatter Festungsbau sowohl im militärischen, wie auch im handwerklichen Bereich mitarbeiteten und auch anschließend viele österreichische Soldaten in Rastatt stationiert waren, wäre es denkbar, dass es durch diese Soldaten nach Rastatt gebracht wurde. Bereits Schlager der aus Rastatt stammte, schrieb 1951 in seiner Arbeit "Das Badische Nationalspiel Zego(...)": "Bezeichnend (...) ist es, daß man in Rastatt hören kann, es sei von den Österreichern der früheren Garnison als Andenken zurückgelassen worden"
Nicht eingehen will ich auf ein drittes Spiel, das so genannte Straßenwarts-Cego, das auch Cego-Zwick oder Vier-Anderle genannt wird. Es ist ein Glücksspiel das mit Cego nur gemeinsam hat, dass es mit Cegokarten gespielt wird.
Aber wie entstand nun Cego? Folgende Theorie scheint ganz plausibel zu sein:
Als Napoleon 1808 gegen Spanien kämpfte, hatte er Unterstützung vom Badischen Großherzog, der ihm Soldaten zu Verfügung stellte. Die Badener waren damals wie gesagt noch leidenschaftliche Tarockspieler, daher nahmen Sie ihre Karten in den Spanienkrieg mit. Wahrscheinlich vor allem die höheren Mannschaftsgrade, die aus dem Bürgertum und aus dem Adel kamen. Die Schwarzwälder hatten wie bereits erwähnt, sehr wahrscheinlich damals mit 54 Karrten "Dappen" gespielt und nicht wie die Franzosen mit 78.
Auf dem Spanienfeldzug lernten die Badener ein spanisches Kartenspiel mit Namen "Cascarela" kennen, ein Spiel aus der Familie der "L´Hombre"-Spiele. Dies war bis zu diesem Zeitpunkt in Spanien populär. Eigenart dieses Spieles war es, mit unbekannten Karten zu spielen, die man im Laufe des Spieles vom Tisch aufnahm. Man spielte also blind. Eine Spielform, die in diesem Ausmaße beim Tarock unbekannt war. Möglicherweise ist der Begriff "Cego", "Zego", "Cägo", "Caeco" oder "Zigo" eine lautmalerische Übernahme des spanischen Wortes "Ciego" (für blind) . Die Schwarzwälder versuchten nun diese Spiele mit den Tarockkarten zu spielen. Und... es hat geklappt! Bei welchen Gelegenheiten die Badener dieses Spiel kennen gelernt haben, ist noch fraglich, da es dazu noch keine Forschungsergebnisse gibt. Auch hier scheint es im ersten Moment abwegig, dass die Soldaten es von ihren Feinden gelernt haben. Sie hatten aber möglicherweise nach dem Krieg als Söldner bei den Spaniern, oder in den Kriegsgefangenenlagern auf den Balearen Zeit, die Regeln kennen zu lernen und auf die Tarockkarten umzumünzen.
Francesco Antelminelli war ein italienischer Adliger und lebte von 1360 bis 1419. Er gilt als einer der Urväter des Tarock und damit auch des Cego-Spiels. In dieser Zeit wurden die durchnummerierten Trümpfe eingeführt.
Bereits sehr früh (um 1500) gelangte das Tarock in die Schweiz und nach Frankreich (um 1550). Das älteste belegte französische Kartenblatt stammen aus dem Jahr 1557 und wurde in Lyon gedruckt. Es handelte sich um ein "Tarot de Marseille", das heute in einigen Gegenden noch verbreitet ist und das dem italienischen Tarockkarten ähnelten. Es hatte damals noch nicht die heute üblichen Farben Herz, Pik, Kreuz und Karo, sondern Münzen, Kelche, Schwerter und Stäbe. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts waren diese auch in Deutschland die üblichen Karten. Erst gegen 1760 wurden sie langsam durch Herz, Pik, Kreuz und Karo abgelöst. Noch heute wird in Teilen der Schweiz, in Italien und in wenigen Teilen Frankreichs mit den ursprünglichen Farben gespielt. Danke Thierry Depaulis für diese Informationen.
Das Tarot de Marseille wird seit 1780 häufig in der Wahrsagerei genutzt. Wer die Möglichkeit hat mit einem solchen Kartenspiel Cego zu spielen, erfährt ein vollkommen neues Spielerlebnis;-) Die wichtigste Erkenntnis dabei ist:
Mit Tarot-Karten kann man unzuverlässig in die Zukunft sehen aber zuverlässig in der Gegenwart Cego spielen!
Aus dieser Zeit stammt auch noch die Regel, dass bei den roten Farben (Kelche und Münzen) die Kleinen die Großen stechen und bei den Schwarzen (Stäbe und Schwerter) die Großen die Kleinen.
In Baden gibt es wie oben erwähnt noch das Dreierles und das Dappen. Aus dem Dappen hat sich das Cego mit hoher Wahrscheinlichkeit heraus entwickelt. Wie oben erwähnt ist das Dreierles mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit jünger als das Dappen.
Michael Dummet, John McLeod und Ulf Martin haben viele Tarockspiele beschrieben und miteinander verglichen.
Die Fachleute gehen davon aus, dass die beiden Spiele zu den so genannten Tapptarocken gehören. In diese Familie gehört auch Le Tape aus dem Schweizer Kanton Fribourg, Troggu und Dappä aus dem Kanton Wallis und Doppen aus Österreich. Im Buch A History of Games played with Tarock Pack . Die Spiele sind im Kapitel "Tapptarock" beschrieben.
Wann und von wo nach wo sich die Spiele genau verbreitetet haben, ist wie bereits erwähnt noch nicht abschließend geklärt.
Danke Ulf Martin aus Berlin, der mich auf diese Zusammenhänge aufmerksam gemacht hat.
Die Dreierles-Regeln wurden von Ulf Martin
in www.pagat.com veröffentlicht.
Hier die Dappenregeln wie es in
Breitnau, Buchenbach und Furtwangen gespielt wird.
Ein Tarot de Marseille gedruckt kurz vor 1800 von der Firma Krebs in Freiburg. Es ist meines Wissens das erste Tarockblatt, das in Freiburg hergestellt wurde. Wenn man davon ausgeht, dass das "Urtarock" in den Schwarzwald aus der Schweiz kam, ist es nachvollziehbar, dass die ersten "Cegokarten " so aussahen, denn auch die Schweizer haben damals mit diesen Karten gespielt. (Nachdruck aus 1984 von Piatnik) Sammlung Laber
Ob die badischen Soldaten bereits mit einem französischen Blatt spielten mit Herz, Karo, Pik und Kreuz oder noch mit Italienischen Kartenblättern mit Münzen, Kelchen, Schwertern und Stäben ist schwierig zu beantworten. Bei dem hier dargestellten handelt sich um eine Tarotkarte die in Mannheim um 1778 wohl für den französischen Markt hergestellt wurde. Dieses Kartenblatt gehört zur Familie der Tiertarockkarten. Sozusagen der direkte Vorfahre unseres Cegoblattes mit den roten Trümpfen. Sammlung unbekannt
Die erste heute bekannte Cego-Regel die in Feudenheim am Neckar am 7. Dezember 1859 im Gasthaus zur Jägerlust publiziert wurde, ist die erste niedergeschriebenen Regel. Es lohnt in einem ruhigen Moment sich in die Regeln mal reinzulesen. Ein spannendes Sittengemälde der damaligen Zeit! (Danke für das Bild Rita Willmann, Löffingen)
Schwarzer, Sebaldus schrieb zuvor bereits im Jahr 1845 folgendes Buch, dessen Inhalt momentan leider im Netz nicht zu Verfügung steht:
Danke Paul Eaton für diesen Hinweis!
Bis weit in die 1930er Jahre war Cego im ganzen badischen Raum noch weit verbreitet, wie die Karte eindrücklich belegt.
Sie stammt aus der Veröffentlichung "Das badische Nationalspiel "Zego" und die anderen in Baden und an Badens Grenze volksüblichen Kartenspiele" (Schlager, 1952). Die einzigen Orte in den in den 30er Jahren außerhalb Baden und Hohenzollern Cego gespielt wurde, waren Schramberg (1), Mariazell (2), Dunningen (3), Oberflacht (4), Neuhausen (5) und Frittlingen (6). Auf dieser Karte ist eine Ortschaft angegeben, in der Cego "mit Leidenschaft" gespielt wurde. Bei dieser Ortschaft handelte es sich um Pfullingen.
Die Quelle für diese Karte ist "Der Atlas für deutsche Volkskunde".
Spannend, ob im Elsass zu dieser Zeit auch noch Cego gespielt wurde. Es wurde nicht in die Umfrage einbezogen, da das Elsass in den 30er Jahren zu Frankreich gehörte.
Cego hat den 1. Weltkrieg gut überstanden. Es gab damals noch badische Bataillone. Dort wurde Cego gespielt. Im 2. Weltkrieg setzte sich dann Skat durch, da die Badener zusammen mit anderen Landsmannschaften kämpfen mussten und sie wohl ihre norddeutschen Kameraden nicht überzeugen konnten, Cego zu spielen. Deshalb sind auf Landkarte vor allem in Nordbaden inzwischen die meisten der schwarzen Punkte wieder verschwunden.
Dieses Kapitel ist umgezogen auf die Seite "Cego in Literatur und Musik"
Gerold Blümle aus Schopfheim, der beste Cego-Kenner im Schwarzwald veröffentlichte um 2010 die zentrale Arbeit über das badische Nationalspiel Cego. Auf seiner Arbeit basieren die meisten Informationen auf dieser Seite. Ergänzt wird seine Arbeit zwischenzeitlich durch die Erkenntnisse von John McLeod, Ulf Martin und Paul Eaton.